Kirchensteuer + Staatsleistungen
- Eva Heinz-Zentgraf

- 20. Nov.
- 5 Min. Lesezeit

Ein schöner Samstagmorgen. Die Sonne scheint, der Kaffee dampft, und ich sitze mit meinen Betriebswirten zusammen.
Wir plaudern über dies und das, lachen ein bisschen, reden über Steuern und Bilanzen (wie man das halt so macht). Und plötzlich sagt jemand ganz beiläufig: „Sag mal, was hat es eigentlich mit der Kirchensteuer auf sich?“
Und Schwups – sind wir mittendrin in einer hochspannenden und kontroversen Diskussion. Es ging um Steuerabzüge, um Gerechtigkeit, um Geschichte, um Politik – und um die große Frage:
Warum erhalten die Kirchen eigentlich auch heute noch Geld vom Staat?
Darum – inspiriert von Katharina und Levke – gibt’s heute diesen Blogartikel. Ein Rundumschlag zu einem Thema, das uns alle betrifft, auch wenn’s manchmal eher unter dem Radar fliegt.
Was ist die Kirchensteuer – und warum gibt es sie?
Die Kirchensteuer ist eine Abgabe, die Mitglieder der großen Kirchen (katholisch und evangelisch) in Deutschland zahlen.
Sie beträgt:
9 % der Lohn- oder Einkommensteuer in den meisten Bundesländern,
8 % in Bayern und Baden-Württemberg.
Die rechtliche Grundlage dafür findet sich im Grundgesetz:
Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV: „Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten Steuern zu erheben.“
Der Staat zieht die Steuer für die Kirchen ein – dafür zahlt die Kirche eine Verwaltungsgebühr.
Regionale Unterschiede – ein föderales Kirchensteuer-Wirrwarr?
Bundesland | Höhe der Kirchensteuer | Besonderheiten |
Bayern, Baden-Württemberg | 8 % | Historisch niedriger Satz |
Alle übrigen Bundesländer | 9 % | Standardregelung |
Bremen | Kirchgeld-Modell | Betrifft auch kleine Religionsgemeinschaften |
Brandenburg (evangelisch) | 7 % | Aufgrund besonderer kirchlicher Struktur |
Dazu kommt noch die pauschale Kirchensteuer auf Kapitalerträge, bei der automatisch 8 bzw. 9 % auf die Abgeltungssteuer aufgeschlagen werden – ein System, das nicht nur für Steuerpflichtige mit Depotkonto verwirrend ist.
Und was sind eigentlich diese „Staatsleistungen“?
Neben der Kirchensteuer gibt es noch eine zweite Geldquelle, die weniger bekannt ist, aber durchaus für Diskussionen sorgt: die sogenannten Staatsleistungen an die Kirchen.
Dabei handelt es sich nicht um Kirchensteuer oder Fördermittel – sondern um jährliche Zahlungen aus dem allgemeinen Steuertopf an die katholische und evangelische Kirche. Und zwar unabhängig von Mitgliedszahlen oder Leistungen.
Der Ursprung? Der berühmte Reichsdeputationshauptschluss von 1803. Damals verlor die Kirche große Ländereien im Zuge der Säkularisierung. Als Entschädigung sagte der Staat ihr zu, dauerhaft Ausgleichszahlungen zu leisten – um die weggefallenen Einkünfte zu ersetzen.
Diese Praxis wurde später von der Weimarer Verfassung 1919 übernommen – mit einer klaren Auflage:
Art. 138 WRV (heute gültig über Art. 140 GG): „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“
Und jetzt kommt der Knackpunkt: Dieser sogenannte Ablösebefehl wurde bis heute nicht umgesetzt.
Wofür bekommt die Kirche dieses Geld?
Eine absolut berechtigte Frage. Schließlich geht es um über 540 Millionen Euro pro Jahr – bezahlt von allen Steuerzahlern, auch den konfessionslosen.
Aber: Die Kirchen leisten auch sehr viel.
Kirchen übernehmen – teils mit eigenen Mitteln, teils mit öffentlicher Förderung – gesellschaftliche Aufgaben, für die der Staat sonst selbst zuständig wäre.
Zum Beispiel:
Betrieb von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen
Obdachlosenhilfe, Flüchtlingsarbeit, Suchthilfe, Hospizarbeit
Seelsorge in Gefängnissen, der Bundeswehr und Krankenhäusern
Unterhalt historischer Bauten (z. B. Dome, Klöster)
Nutzen für alle – nicht nur für Kirchenmitglieder
Viele dieser Einrichtungen stehen allen Menschen offen – unabhängig von der Konfession. Das macht die Kirchen zu einem wichtigen Partner im sozialen Netz unseres Landes.
💡 Ohne kirchliche Träger wäre unser Sozialsystem spürbar schwächer – nicht nur moralisch, sondern auch personell und strukturell.
Dennoch stellt sich die Frage, ob man diese Leistungen nicht anders finanzieren könnte – zum Beispiel über projektbezogene Zuschüsse statt pauschaler Altverträge.
Kritik an den Staatsleistungen – berechtigt, aber nicht blind unterstützen
Die Debatte um die Staatsleistungen ist kein neues Thema, wird aber in den letzten Jahren wieder vermehrt geführt – und das aus sehr unterschiedlichen Ecken der Gesellschaft.
Auf der einen Seite stehen säkulare Initiativen, Menschen ohne Konfession, viele jüngere Bürger und Organisationen wie der Humanistische Verband, die fordern: "Jetzt macht doch endlich Schluss mit diesen historischen Zahlungen!"
Auch liberale und wirtschaftsnahe Stimmen, vor allem aus der FDP, sprechen sich für eine saubere Trennung von Staat und Kirche aus – im Sinne einer modernen Verfassungstreue und finanziellen Transparenz.
Hier geht es oft um Grundsatzfragen:
Warum zahlt der Staat seit 1803 immer noch?
Warum wurde der sogenannte Ablösebefehl aus dem Jahr 1919 nie umgesetzt?
Warum werden diese Leistungen nicht sauber bilanziert und ausgewiesen?
…und dann ist da auch die AfD.
Ja, auch die AfD hat sich auf die Fahne geschrieben, die Staatsleistungen abzuschaffen – aber aus ganz anderen, politisch hochproblematischen Motiven.
Während säkulare Gruppen für Toleranz, Vielfalt und die Gleichbehandlung aller Religionen eintreten, nutzt die AfD das Thema oft, um Stimmung zu machen. Nicht selten wird die Kirchenfinanzierung instrumentalisiert, um die Kirchen insgesamt zu diskreditieren – insbesondere dann, wenn diese sich kritisch gegenüber populistischen Tendenzen äußern oder sich klar für Geflüchtete und Minderheiten einsetzen.
💬 Kritik an Staatsleistungen ist legitim. Aber wer sie im gleichen Atemzug nutzt, um unsere pluralistische Gesellschaft auszuhöhlen, hat kein Interesse an echter Verfassungsreform – sondern an Spaltung.
Deshalb ist es wichtig, zwischen berechtigter, sachlicher Kritik und politischem Missbrauch zu unterscheiden. Das eine ist notwendig und überfällig – das andere gefährlich.
Warum hat sich seit 1919 eigentlich nichts getan?
Kurz gesagt: Weil es kompliziert und teuer ist.
Die Ablösung müsste bundesgesetzlich geregelt, aber durch die Länder umgesetzt werden.
Es müssten Einmalzahlungen oder Entschädigungsmodelle entwickelt werden (z. B. in Form von Immobilien, Fonds oder Kapitalanlagen).
Politisch war bisher nie genug Einigkeit da, um dieses Mammutprojekt anzugehen.
Stattdessen haben sich alle Bundesregierungen bislang lieber nicht gerührt – ein echter Fall von politischer „Aufschieberitis“.
Und was macht die neue Bundesregierung?
Unter der früheren Ampel-Regierung (SPD, Grüne, FDP) war im Koalitionsvertrag von 2021 tatsächlich festgelegt worden, die Staatsleistungen endlich abzulösen. Ein vielversprechender Plan – aber umgesetzt wurde er nicht mehr.
Inzwischen ist die politische Lage neu: Friedrich Merz ist Bundeskanzler, die CDU führt wieder die Regierung – und wie sich diese Koalition zum Thema Staatsleistungen positioniert, ist bisher völlig offen.
📌 Was nun kommt? Steht in den Sternen.
Ein neuer Koalitionsvertrag könnte Impulse setzen – oder das Thema wieder für Jahre in der Schublade verschwinden lassen.
Quintessenz
Was an einem entspannten Samstagmorgen im Unterricht als spontane Frage aufkam, entpuppt sich als tief verwurzeltes, komplexes und hochpolitisches Thema.
Die wichtigsten Punkte:
Die Kirchensteuer wird nur von Mitgliedern gezahlt – sie ist rechtlich legitim, aber emotional umstritten.
Die Staatsleistungen basieren auf über 200 Jahre alten Verträgen – ihre Ablösung ist längst fällig.
Die Kirchen leisten viel für die Gesellschaft, auch für Nichtmitglieder – das wird oft unterschätzt.
Kritik an den Staatsleistungen ist sinnvoll – aber nur dann konstruktiv, wenn sie nicht von antidemokratischen Gruppen vereinnahmt wird.
Politisch ist derzeit alles offen – ob eine neue Bundesregierung das Thema anpackt, bleibt abzuwarten.
Vielleicht wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, diesen historischen Ballast endlich neu zu verhandeln. Transparent, verfassungstreu und mit Blick auf eine moderne, vielfältige Gesellschaft.



