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Plädoyer für gepflegte Anrede-Kultur

  • Autorenbild: Eva Heinz-Zentgraf
    Eva Heinz-Zentgraf
  • 11. Sept.
  • 4 Min. Lesezeit
Jahressteuergesetz 2024 - Neuigkeiten

 

Neulich, nach einer meiner Veranstaltungen, flatterte mir ein Feedback ins Postfach, das mich kurz innehalten ließ.


Der Tenor: "Ihre Ansprache 'Meine Damen und Herren' ist doch inzwischen völlig aus der Zeit gefallen!"

 

Autsch. So etwas liest man natürlich nicht gern. Im ersten Moment habe ich mich gefragt:


Bin ich tatsächlich schon eine wandelnde Antiquität? 

Habe ich etwa den Anschluss an die moderne Ansprachekultur verloren?

 

Doch bevor ich meine Formulierungen entrümpeln und mich in "Hey Leute!" oder "Hallo zusammen!" üben konnte, erreichte mich ein zweites Feedback.


Und dieses Feedback war wie warmer Kaffee an einem verregneten Morgen. 

 

Ein Teilnehmer schrieb mir: "Ja, ‚meine lieben Damen und Herren‘ höre ich bei Ihnen öfter. Aber genau das gehört inzwischen fast schon zu Ihrem Markenzeichen. Ich finde es charmant und sympathisch, und es vermittelt mir immer das Gefühl, dass Ihnen wirklich wichtig ist, dass wir nicht nur nicken, sondern auch verstehen."


Und wissen Sie was? Genau das ist der Punkt!

 

Denn hinter meiner "verstaubten" Anrede steckt mehr als nur eine Floskel – sie ist ein kleines Statement. Und diesem Thema möchte ich heute einen ganzen Blogartikel widmen. 🧐



Die gute alte Anrede, oder auch: Warum überhaupt "Damen und Herren"?

 

Beginnen wir mit einem kurzen Blick zurück: Die klassische Anrede "Meine Damen und Herren" hat jahrzehntelang die Bühnen, Vortragssäle und Fernsehansprachen dominiert.


Sie war ein Zeichen von Respekt, Wertschätzung und einer gewissen sprachlichen Etikette.

 

Im Zeitalter der Zoom-Meetings, Chat-Gruppen und Social Media scheint diese Formulierung jedoch an Glanz verloren zu haben. Viele halten sie für "angestaubt" oder gar "steif".

 

Aber machen wir uns nichts vor: Nicht jede Tradition gehört automatisch aufs Abstellgleis, nur weil sie schon länger existiert. Manche Dinge sind wie guter Wein – sie werden mit den Jahren besser, wenn man sie richtig genießt.

 


Sprache ist eine innere Haltung und sowas kann nicht "aus der Zeit fallen"

 

In meinen Seminaren, Kursen und Vorträgen spreche ich Menschen an, keine Algorithmen.


Menschen, die morgens ihre Brötchen verdienen, die vielleicht einen Existenzgründerkurs besuchen, nach Feierabend Buchhaltung büffeln oder mitten im Steuerdschungel den Überblick behalten wollen.

 

Für diese Menschen wähle ich bewusst die Anrede "Meine Damen und Herren". Und ich sage dabei ganz bewusst meine.


Denn ich spreche nicht anonym in den Raum, sondern zu Ihnen.


Diese Anrede ist für mich eine Einladung:

  • zum Zuhören

  • zum Mitdenken

  • und zur Begegnung auf Augenhöhe

 

Es ist, als würde ich sagen: "Setzen Sie sich, ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitgebracht – und ich möchte, dass wir darüber sprechen."

 


Der Charme der persönlichen Marke

 

Das Schöne daran: Viele meiner Teilnehmerinnen und Teilnehmer sagen mir immer wieder, dass diese Begrüßung inzwischen zu mir gehört. Genau so wie mein Augenzwinkern beim Thema Steuerrecht oder meine Anekdoten aus dem echten Leben.

 

Man nennt das neudeutsch auch "Branding" 😄

 

Große Unternehmen investieren Millionen, um ihre Marke zu prägen. Ich sage einfach nur "Meine Damen und Herren" – und schon wissen viele: Ah, das ist die Eva, die Steuerrecht verständlich, unterhaltsam und nahbar erklärt.


Warum also sollte ich darauf verzichten?

 

Weil es "nicht mehr modern" klingt? Weil manche es für "von gestern" halten?

 

Wenn ich meine Marke bin, dann darf ich auch meine Sprache sprechen. Und wenn das bedeutet, dass ich einen höflichen, warmen und wertschätzenden Einstieg wähle, dann ist das eben so.

 


Zwischen Zeitgeist und Sprachverfall, oder auch: warum „locker“ nicht immer besser ist

 

Wir leben in einer Zeit, in der Begrüßungen oft auf "Hallo zusammen""Guten Morgen alle" oder gar auf ein flottes "Hey Leute" reduziert werden. Das klingt schnell, unkompliziert, unverbindlich. 

 

Doch genau darin liegt für mich die Krux: Es bleibt oft unverbindlich.

 

Natürlich ist es in lockeren, informellen Runden völlig in Ordnung, sich so zu begrüßen. Aber sobald ich Menschen etwas vermitteln möchte – Inhalte, Wissen, Ideen – finde ich, darf auch der Rahmen stimmen.


Ein gelungener Vortrag oder Workshop beginnt nicht erst mit der ersten Folie. Er beginnt mit der ersten Ansprache.

 


Höflichkeit ist nicht altmodisch, sondern menschlich

 

Und jetzt mal ehrlich: Wann haben Sie sich das letzte Mal darüber geärgert, höflich und respektvoll begrüßt zu werden? Eben.

 

Wir reden viel über Achtsamkeit, Wertschätzung, Diversity und Inklusion. 

 

Aber sobald jemand ein klassisches "Meine Damen und Herren" verwendet, heißt es plötzlich: "Das klingt ja nach 1980!"


Vielleicht sollten wir uns eher fragen: Warum stört uns Höflichkeit eigentlich?


Und warum glauben wir, dass wir alles modernisieren müssen – sogar den guten Ton?

 


Quintessenz


Meine lieben Damen und Herren, (ja, ich sag’s noch mal, und das mit voller Absicht 😄)

 

Manche Worte sind mehr als nur Worte. Sie transportieren Haltung, Wertschätzung und ein bisschen Persönlichkeit. Wenn ich Sie mit "Meine Damen und Herren" begrüße, dann ist das keine hohle Floskel aus dem 20. Jahrhundert, sondern meine ganz persönliche Einladung an Sie: Hören Sie nicht nur zu, sondern fühlen Sie sich wirklich gemeint.

 

Und genau darum werde ich diese Anrede auch weiterhin benutzen. Mit Herz, mit Charme und immer einem kleinen Augenzwinkern. Denn ganz egal ob Buchhaltung, Steuerrecht oder Controlling: Zwischen Zahlen und Paragraphen dürfen Menschlichkeit und Stil nie aus der Zeit fallen.

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