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6% Nachzahlungs- und Erstattungszinsen verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hält den Zinssatz von 6 % p. a. für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ab dem 1.1.2014 für verfassungswidrig.

 

Zuerst einmal klären wir aber die allgemeinen Begriffe wie Erstattungszinsen und Nachzahlungszinsen:

 

Erstattungszinsen

 

Wenn Sie Ihre Steuererklärung abgeben, erhalten Sie von Ihrem Finanzamt anschließend einen Steuerbescheid. Darin steht, wie viel Steuern Sie entweder zurückbekommen oder nachzahlen müssen.

 

Im Schnitt dauert es zwischen zwei und drei Monaten, bis der endgültige Steuerbescheid im Briefkasten liegt. In manchen Fällen kann es aber über ein Jahr und länger dauern. Die Gründe dafür können ganz unterschiedlich sein:

  • Das für Sie zuständige Finanzamt hat sehr viel zu tun.
  • Sie haben bei Ihrem Finanzamt Einspruch gegen den Steuerbescheid eingelegt.
  • Sie führen einen Prozess beim Finanzgericht, zum Beispiel weil es Ihnen bestimmte Kosten nicht anerkennen will.
  • Sie geben Ihre Steuererklärung erst kurz vor dem Abgabetermin ab.

Ab wann stehen mir Erstattungszinsen zu?

 

Zwei Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Ihnen Erstattungszinsen zustehen:

 

  1. Sie bekommen Ihren endgültigen Steuerbescheid 15 Monate nach dem betreffenden "Steuerjahr". Heißt konkret: Sie haben Ihre Steuererklärung für das Jahr 2019 abgegeben und bekommen den Steuerbescheid dafür nach dem 1. April 2021.
  2. Ihnen steht eine Rückerstattung zu. Das bedeutet: Nur wenn Sie Geld vom Finanzamt zurückbekommen und nicht, wenn Sie Steuern nachzahlen müssen.

 

Was muss ich tun, um die Erstattungszinsen zu bekommen?

 

Gar nichts. Stehen Ihnen die Zinsen zu, berechnet und überweist Ihnen Ihr Finanzamt das Geld automatisch.

 

Übrigens…

 

Wenn Sie freiwillig Ihre Steuererklärung abgeben, haben Sie dafür vier Jahre Zeit. Auch hier werden für das Finanzamt 15 Monate nach Ablauf des Steuerjahres Erstattungszinsen an Sie fällig – selbst dann, wenn Sie die Steuererklärung erst Jahre später machen. Das heißt: Wenn Sie 2021 Ihre Steuererklärung für 2017 abgeben, bekommen Sie die Zeit ab 1. April 2019 verzinst.

 

Zinsen sind steuerpflichtige Kapitaleinnahmen – Erstattungszinsen auch?

 

Ärgerlich, aber wahr: Alles, was Ihnen Ihr Finanzamt an Erstattungszinsen überweist, müssen Sie in Ihrer Steuererklärung als Kapitaleinnahme eintragen und versteuern.

 

Nachzahlungszinsen

 

Bei den Nachzahlungszinsen handelt es sich um nicht berücksichtigungsfähige private Schuldzinsen im Sinne des § 12 Nr. 3 EStG.

 

Noch ärgerlicher: Müssen Sie Nachzahlungszinsen zahlen, können Sie dieses Geld nicht von der Steuer absetzen. Nachzahlungszinsen sind Sie dem Staat schuldig, wenn Sie nach über 15 Monaten Gerangel mit Finanzbehörden oder einfach nur Warten auf den Steuerbescheid erfahren, dass Sie Steuern nachzahlen müssen. Dann müssen Sie Zinsen auf Ihre Nachzahlung zahlen. Und wie gesagt: Diese Zinsen können Sie nicht absetzen.

 

Bei Rückzahlung dieser an den Steuerpflichtigen handelt es sich nicht um steuerpflichtige Erstattungszinsen, sondern um die Minderung zuvor festgesetzter Nachzahlungszinsen, die nicht von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG erfasst werden. Die Nichtberücksichtigung ist auf die bisher geleisteten Nachzahlungszinsen begrenzt.

 

Werden Nachzahlungszinsen erstattet, die (bis einschl. Veranlagungszeitraum 1998) als Sonderausgaben abgezogen wurden, führt dies gem. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu einer Berichtigung des entsprechenden Einkommensteuerbescheides. Insoweit liegt ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung vor (vgl. BFH-Urteil vom 28.5.1998, BStBl 1999 II S. 95).

 

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

 

Für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 ist der Zinssatz aber trotz Verfassungswidrigkeit aus Gründen des Haushalts noch anzuwenden. Für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 muss der Gesetzgeber allerdings bis zum 31.7.2022 eine Neuregelung finden.

 

Aus Sicht des BVerfG führt der Zinssatz von jährlich 6 % oder 0,5 % pro Monat zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, deren Steuer erst nach Ablauf der 15-monatigen Karenzzeit festgesetzt oder geändert wird, gegenüber Steuerpflichtigen, deren Steuer vor Beginn des Verzinsungszeitraums festgesetzt worden ist. Der Zinssatz von 6 % ist seit dem 1.1.2014 nicht mehr realitätsnah.

 

Seit 2008 gibt es ein strukturelles Niedrigzinsniveau, und seit 2013 gibt es einen negativen Basiszinssatz. Spätestens seit 2014 ist somit das Niedrigzinsniveau strukturell und nachhaltig, so dass der Zinssatz von 6 % über die Abschöpfung eines möglichen Zinsvorteils hinausgeht. Er verletzt daher die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG sowie den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

 

Aber bitte Vorsicht…!

 

Bis einschließlich 2013 ist die Regelung verfassungsgemäß!

 

Auch für den Verzinsungszeitraum 2014 bis 2018 bleibt es – trotz Verfassungswidrigkeit – bei der bisherigen Regelung, so dass der Zinssatz von 6 % gilt.

 

Erst für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 muss der Gesetzgeber bis Mitte nächsten Jahres tätig werden.

 

Die Verfassungswidrigkeit gilt auch für Erstattungszinsen. Meines Erachtens sind hier aber Zinsfestsetzungen über Erstattungszinsen hinsichtlich der Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 nicht mehr änderbar, weil die Steuerpflichtigen vor einer nachteiligen Änderung durch die Regelung über den Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 AO geschützt sind.

 

Für Verzinsungszeiträume bis 31.12.2018 bleibt es ohnehin beim Erstattungszinssatz von 6 % p. a. Der Vertrauensschutz schützt aber nur vor einer Änderung: Sind Erstattungszinsen für den Zeitraum ab 1.1.2019 noch nicht festgesetzt worden, wird der Steuerpflichtige vom Zinssatz in Höhe von 6 % nicht mehr profitieren.

 

Die Unvereinbarkeitserklärung des BVerfG betrifft nur den Zinssatz auf Nachzahlungs- und Erstattungszinsen gem. § 233a in Verbindung mit § 238 AO, nicht aber

  • Stundungszinsen nach § 234 AO,
  • Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und
  • Aussetzungszinsen nach § 237 AO.

Bemerkenswert ist die Dauer des Verfahrens 1 BvR 2237/14, das seit sieben Jahren beim BVerfG anhängig war.

 

Quintessenz

 

Im Hinblick auf die Ungewissheit der künftigen Zinsentwicklung und insbesondere einer möglichen Inflation dürfte die Einführung eines dynamischen Marktzinssatzes wie in § 253 Abs. 2 Satz 4 HGB sinnvoll sein, der von der Deutschen Bundesbank nach Maßgabe einer Rechtsverordnung ermittelt und jährlich anstelle monatlich wie in § 253 Abs. 2 Satz 4 HGB bekannt gegeben wird.

 

Dies würde den Steuerpflichtigen, ihren Beratern und der Finanzverwaltung mehr Zeit für ein wichtiges Thema bieten, das auch nicht gerade einfach ist: das materielle Steuerrecht. 🧐

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