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Unsere Zinspolitik in 12 Thesen

Die Zinspolitik beinhaltet alle Maßnahmen der Zentralbank, mit denen das allgemeine Zinsniveau beeinflusst werden soll. Zinsen stellen für Kreditnehmer Kosten dar. Über die Veränderung von Zinssätzen, die zwischen Zentralbank und Geschäftsbank berechnet werden, will die Zentralbank deshalb die Nachfrage nach Investitionskrediten der Unternehmen oder Konsumkrediten der Haushalte sowie die Kreditnachfrage des Staates beeinflussen.

 

Erhöht die Zentralbank beispielsweise ihre Zinsen, um im konjunkturellen Hoch Preissteigerungen zu verringern, werden die Geschäftsbanken die Zinsen, die sie ihren Kunden in Rechnung stellen, ebenfalls erhöhen. Höhere Zinsen bewirken eine geringere Nachfrage nach Krediten beispielsweise für Investitionen, da die Gewinnaussichten der Unternehmen sinken. Die Folge ist eine verringerte Geldnachfrage, das Preisniveau stabilisiert sich. 

 

Eine ähnliche Wirkung haben Zinserhöhungen auf die Konsumgüternachfrage der privaten Haushalte. Sinkende Zinsen haben die gegenteilige Wirkung.

 

Die Europäische Zentralbank (EZB) steuert vor allem über die Zinssätze für ihre Hauptrefinanzierungsgeschäfte und für ihre längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte das Zinsniveau im Euroraum. Als Obergrenze für die Geldmarktzinsen gilt der Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität, als Untergrenze der Zinssatz für die Einlagefazilität. 

 

Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2009 verfolgt die EZB eine Niedrigzinspolitik.

 

Nun stehen wir im Frühjahr des Jahres 2023 und müssen darüber sprechen, wie sich die Zinspolitik im laufenden Jahr verändern wird!

 

These 1: Zinsen sind wieder „normal“

 

Der positive Nominalzins ist wieder da, Negativzinsen sind bis auf weiteres vom Tisch und gehören der Vergangenheit an. Sofern noch nicht von der Bank selbst abgeschafft, sollten in einem vertrauensvollen Gespräch mit der Bank „Vereinbarungen über Verwahrentgelte“ aufgehoben, notfalls vom Bankkunden gekündigt werden.

 

These 2: Guthabenzinsen auf Girokonten sind unwahrscheinlich

 

Guthabenzinsen auf Girokonten wird es so schnell nicht geben. Grund hierfür ist, dass Banken abwarten und die Sichteinlagen der Kunden selbst gewinnbringend anlegen. Ein Sparen auf Tages- und Festgeldkonten rentiert sich wieder. Bis zu 2 % Festgeldzins werden aktuell bezahlt, bei Tagesgeldern liegt der Zins mit etwa 0,5 % weit darunter. Der Markt ist derzeit stark in Bewegung, die Tendenz ist steigend! Da die Inflationsrate noch einige Jahre hoch und weit über diesem Zinsniveau bleiben wird, ist dies in der Summe dennoch ein schlechtes Geschäft. Der Realzins bleibt weiterhin negativ und zumindest auf Jahresfrist „tiefrot“.

 

These 3: Zinsniveau wird weiter steigen

 

Die Zinsen werden weiter steigen, weil die Zentralbanken zur Inflationsbekämpfung die Leitzinsen weiter anheben müssen. Primäre Aufgabe einer Zentralbank ist die Preisniveaustabilität, das selbst gesteckte Ziel der EZB ist eine Inflationsrate von „etwas über 2 %“. Dieses Ziel ist kurzfristig jedoch nicht erreichbar! Viel zu viel Geld wurde seit der Immobilienkrise in den USA (2008) und der Staatsschuldenkrise (2010 bis 2015) samt mehrerer Hilfspakete der EU in den Markt gepumpt. Auch die Energiepreise werden über den Winter hoch bleiben.

 

Da in Europa die Inflation monatlich im Vergleich zum Vorjahr gemessen wird, werden allein aus statistischen Gründen die Preise weiter anziehen. In einem Interview am 8.10.2022 in der Süddeutschen Zeitung bekennt der Chef der Bundesbank wörtlich: „Wenn es zehn Prozent Inflation gibt, aber nur 1,25 Prozent Zinsen, dann ist für mich der Handlungsbedarf klar. Ja, die Zinsen müssen weiter steigen – und zwar deutlich.“

 

These 4: Geldpolitik bleibt schwierig

 

Die Geldpolitik steht vor einem schwierigen langen Weg, zumal die Inflationsrate in den USA bei über 8 % und in Deutschland bei über 10 % liegt, einem Niveau, das seit den 70er Jahren nicht mehr erreicht wurde. Viel zu zögerlich war die EZB mit ihrem ersten Zinsschritt! Insgesamt haben die Zentralbanken eine schwere Aufgabe vor sich, und die Inflationsbekämpfung kommt einer Hexerei gleich. 

 

Bildhaft wird das Problem mit dem „Ketchup-Flascheneffekt“ beschrieben: Erst kommt wenig Soße aus der Flasche, dann schwappt zu viel heraus, ein Zurück ist, wenn überhaupt, mühsam und schwierig. Konkret zur deutschen Situation: Eine Lohn-Preis-Spirale wird sich nicht völlig verhindern lassen. Auch wird der Umbau der Waren- und Energieversorgung Jahre dauern und viel Geld kosten.

 

These 5: Sehr hohe Zinsen sind unwahrscheinlich

 

Die EZB könnte in diesem Jahr noch einen Zinsschritt gehen, dann etwa auf 2,5 %. In Amerika geht es schneller: Die amerikanische Zentralbank Fed agiert viel dynamischer, dort werden bald Leitzinsen von mehr als 4 % zu sehen sein. Auf den europäischen Geldmarkt wirkt der amerikanische Leitzins wie ein Magnet und wird die europäischen Zinsen nach oben treiben. Dennoch: Die Weltwirtschaft schlittert in eine Rezession, Krisen werden uns weiterhin begleiten. Das schränkt den Handlungsspielraum der Zentralbanken stark ein. Auch haben wir die letzten drei Jahrzehnte gelernt, dass Zentralbanken überhaupt kein Interesse an hohen Zinsen haben. Ergo: Hohe Zinsen wird es nicht geben.

 

These 6: Zinsniveau ist im historischen Vergleich immer noch niedrig

 

Zinsen werden seit Jahrhunderten notiert. Im langfristigen Durchschnitt liegen die Realzinsen bei über 2 %, nominal am kurzen Ende bei etwa 5 % bis 6 % und am langen Ende etwa einen Prozentpunkt darüber. Nominelle Leitzinsen in Höhe von 3 % oder 4 % sind somit völlig normal und im langfristigen Vergleich eher niedrig bzw. moderat.

 

These 7: Investition in Geldvermögen bleibt unrentabel

 

Einlagenzinsen und Anleiherenditen von 1 %, 2 % oder 3 % helfen beim Sparen bzw. bei der Geldvermehrung nicht, wenn die Inflation langfristig darüber liegt. Wer also 3 % Zinsen vereinnahmen kann, aber 6 % Inflation erleidet, legt zwar auf dem Papier 3 % zu, verliert aber insgesamt 3 % an Wert. Hinzukommt eine steuerliche Ungerechtigkeit: Der Zinsertrag von Geldanlagen muss versteuert werden, die Inflation ist steuerlich jedoch nicht absetzbar. Eine Investition in Geldvermögen ist daher auf absehbare Zeit nicht lohnend. Eine andauernde Entwertung von Geldvermögen wird zu zunehmender Unzufriedenheit bei den Sparern führen, die sich um den Nutzen ihres teilweise lebenslangen Konsumverzichts betrogen sehen.

 

These 8: Schulden können sich lohnen

 

Schulden zu machen kann sich bei hoher Inflation weiter lohnen. Wenn langfristig die Inflationsrate über dem Zins liegt, d. h. bei langfristig negativen Realzinsen, gewinnen die Schuldner (Kreditnehmer). Für Sparer und Gläubiger bleibt die Ausgangssituation weiterhin schlecht. Sie erhalten nur scheinbar Erträge, Besitzer von Geld verlieren also weiter real an Wert.

 

These 9: Hohe Inflation hat negative soziale Auswirkungen

 

Für die Gesellschaft sind hohe Inflationsraten gefährlich. Für Menschen mit geringen Einkommen sind hohe Haushaltskosten durch Preiserhöhungen z. B. bei Mieten, Energie, Lebensmittel, Versicherungen oder Abgaben schnell existenzgefährdend. Immer größere Bevölkerungsteile werden auf Transferleistungen angewiesen sein. Hohe Inflation begünstigt somit die Umverteilung von unten nach oben und kann gesellschaftlich S. 1064destabilisierend wirken, wenn die Bevölkerung das Vertrauen in die Politik und die Geldwirtschaft verliert. Insofern sind stabile Preise und niedrige Inflationserwartungen gleichsam der „Kitt“ des gesellschaftlichen Zusammenlebens und Zusammenhalts, weil sie allen Beteiligten Sicherheit in ihren wirtschaftlichen Entscheidungen geben.

 

These 10: Nachfrage nach Immobilien wird sinken

 

Der Immobilienmarkt wird durch hohe Zinsen unmittelbar getroffen. Hohe Wohnbauzinsen bremsen die Nachfrage nach Immobilien. Derzeit ist eine erste Stornowelle zu beobachten: Jeder neunte Bauantrag wird vom Bauherrn zurückgezogen. Es sind nicht allein die Zinsen, die neue Immobilien unerschwinglich machen. Es sind die hohen Grundstückspreise und rasant steigende Baukosten durch die Steigerung der Materialpreise und Facharbeiterlöhne, die den Erwerb von bebautem Grund und Boden unwirtschaftlich machen. 

 

Hohe Energiepreise, steigende staatliche Abgaben und rechtliche Verschärfungen des Immobilienbesitzes werden die Freude an Immobilieneigentum weiter trüben. Auch wirken bei hohen Anschaffungs- oder Herstellungskosten die in der Höhe begrenzten staatlichen Förderungen für den Eigenheimbesitz immer schwächer. Die hohen Immobilienpreise helfen Eigenheimbesitzern wenig, weil sie mit ihren Familien in ihrem Zuhause wohnen bleiben und nicht verkaufen wollen. 

 

Weitere Folge: Gebrauchtimmobilien können je nach Lage jetzt stark im Preis fallen, weil in der Krise das Kaufinteresse bzw. die Nachfrage nach Immobilien zurückgehen werden.

 

These 11: Investitionen können unrentabel werden

 

Bei hohen Zinsen rechnen sich viele Investitionen nicht mehr. Ist die Investition fremdfinanziert, kann sich der Leverage-Effekt drehen und negativ auswirken, wenn die Zinsen für das Fremdkapital über die Gesamtkapitalrendite ansteigen. Konkret gerät der Investor (Unternehmer) dann in eine Zinsfalle, wenn die Gesamtrendite einer Investition geringer als der zu zahlende Kreditzins ist. Wer also mit seiner Investition nur 3 % Rendite erzielt, seiner Bank aber 4 % zahlen muss, läuft ins Risiko. Jeder dauerhafte Weiterbetrieb dieser Investition wäre nachteilig!

 

These 12: Fokus sollte auf die Finanzplanung gelegt werden

 

Der Zinsaufwand ist für die deutsche Wirtschaft nicht das Problem. Nach wie vor sind die Zinsen im langfristigen Vergleich sehr moderat, und im Schnitt macht der Zinsaufwand bei Unternehmen gerade einmal 1,5 % vom Umsatz aus. 

 

Die Risiken bzw. das Rationalisierungspotenzial sind bei den Einsatzfaktoren wie z. B. Material, Personal, Energie, Marketing oder Logistik um ein Vielfaches höher. Wichtiger als steigende Zinsen ist für ein Unternehmen die Sicherung der Zahlungs- und Kapitaldienstfähigkeit. Vermehrte Insolvenzen von Unternehmen und Privatpersonen können neben der Verteuerung der Kredite durch steigende Zinsen auch zu einer Verknappung des Kreditangebots durch die Banken führen. 

 

Unternehmen sind gut beraten, stets ein kritisches Auge auf ihr Geschäftsmodell und auf die laufende Finanzplanung (Cashflow) zu haben. Unternehmer sollten das partnerschaftliche Verhältnis mit ihren Banken unbedingt weiter festigen!

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