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Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern

Heute gibt es mal wieder einen brandaktuellen Blogartikel zum Thema Umsatzsteuer! Mit dem BMF-Schreiben vom 29.3.2022 stellt das BMF klar, dass für die Berechnung der 10 %-Grenze auf die zu Beginn des Geschäftsjahres geplanten variablen Vergütungsbestandteile abzustellen ist, unabhängig davon, ob und in welcher Höhe letztendlich die Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen tatsächlich vergütet wird. Bleibt neugierig!! 🧐

 

Sowohl der EuGH als auch der BFH hatten bereits 2019 entschieden, dass Aufsichtsratsmitglieder entgegen bisheriger Auffassung der deutschen Finanzverwaltung nicht als Unternehmer tätig sind, wenn sie aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein wirtschaftliches Risiko tragen. Die Finanzverwaltung hatte mit Schreiben vom 8.7.2021 erstmals reagiert und den UStAE angepasst. Am 29.3.2022 hat das BMF nun nachgelegt und insbesondere eine Klarstellung zur Berechnung der 10 %-Grenze variabler Vergütungsbestandteile ergänzt.

 

Entwicklung der Rechtsprechung

 

Da das BMF-Schreiben mit der Definition des wirtschaftlichen Risikos und der damit verbundenen Selbständigkeit eine generelle Beurteilungsgrundlage für die unternehmerische Tätigkeit bietet, wirkt die neue Auffassung der Finanzverwaltung auch über die Aufsichtsräte selbst hinaus.

 

Die bisherige Auffassung des BMF zur Behandlung von Aufsichtsratsvergütungen sah ein Mitglied eines Aufsichtsrats grundsätzlich als umsatzsteuerlichen Unternehmer an. Damit waren die im Aufsichtsrat erbrachten Leistungen als steuerbar und steuerpflichtig einzustufen, solange die sog. Kleinunternehmerregelung keine Anwendung fand.

 

Der EuGH hat mit seinem Urteil vom 13.6.2019 erstmalig die Art. 9 und 10 MwStSystRL dahingehend ausgelegt, dass ein Mitglied eines Aufsichtsrats, das weder im eigenen Namen noch für eigene Rechnung, sondern für Rechnung und unter Verantwortung des Aufsichtsratsorgans handelt, nicht in eigener Verantwortung handelt und somit keine selbständige Tätigkeit ausübt.

 

Mit Urteil vom 27.11.2019 folgte der BFH der Auffassung des EuGH und entschied damit abweichend von der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung, dass ein Aufsichtsratsmitglied einer deutschen Aktiengesellschaft mangels Selbständigkeit nicht umsatzsteuerpflichtig sei.

 

Nach zwei Jahren Divergenz zwischen EuGH-Rechtsprechung einerseits und der in Abschnitt 2.2 Abs. 2 Satz 7 UStAE von der Finanzverwaltung dargelegten Sichtweise auf die Selbständigkeit der Aufsichtsratsmitglieder andererseits, hat die Finanzverwaltung nun mit BMF-Schreiben vom 8.7.2021 das BFH-Urteil vom 27.11.2019 und gleichermaßen das genannte EuGH-Urteil umgesetzt.

 

In der Praxis ist die Aufsichtsratsvergütung i. d. R. nicht nur als insgesamt fixe oder völlig variable Vergütung ausgestaltet, vielmehr kommen vor allem Mischformen in Frage. Bei einer gemischten Vergütung aus festen und variablen Bestandteilen liegt die selbständige unternehmerische Tätigkeit grundsätzlich vor, wenn der variable Bestandteil im Geschäftsjahr der Gesellschaft mindestens 10 % der Gesamtvergütung einschließlich erhaltener Aufwandsentschädigungen beträgt.

 

Hinweis:

Der EuGH stellt dabei vor allem auf das vom Aufsichtsrat getragene wirtschaftliche Risiko ab, das sich in einer fixen oder variablen Vergütung ausdrückt. Daher ist es notwendig die Abgrenzungen zwischen fixen und variablen Vergütungen vornehmen zu können.

 

Abgrenzung von fixen zu variablen Vergütungen

 

Die Finanzverwaltung unterscheidet bei der Bewertung der festen Vergütung nicht, ob die Vergütung in Geldzahlungen oder Sachzuwendungen besteht. In seltenen Fällen werden neben reinen Geldzahlungen auch Aktienpakete und Aktienoptionen als Vergütung gewährt. Hier stellt sich die Frage, ob aufgrund der möglichen Kursschwankungen variable Vergütungen vorliegen können:

  • Dafürsprechen würde die tatsächliche Volatilität eines Aktienkurses, der nicht zuletzt durch das Verhalten des Vorstands beeinflusst wird. Der Vorstand wird durch den Aufsichtsrat kontrolliert, so dass im weiteren Sinne hier Anhaltspunkte für eine variable Vergütung vorliegen könnten.
  • Dagegen werden die Aktienpakete unabhängig vom tatsächlichen Handeln der Aufsichtsräte wie vereinbart ausbezahlt, so dass auch die Annahme von Festvergütungen berechtigt wäre.

In der Praxis ist die Aufsichtsratsvergütung i. d. R. nicht nur als insgesamt fixe oder völlig variable Vergütung ausgestaltet, vielmehr kommen vor allem Mischformen in Frage. Bei einer gemischten Vergütung aus festen und variablen Bestandteilen liegt die selbständige unternehmerische Tätigkeit grundsätzlich vor, wenn der variable Bestandteil im Geschäftsjahr der Gesellschaft mindestens 10 % der Gesamtvergütung einschließlich erhaltener Aufwandsentschädigungen beträgt. Mit dem neuesten BMF-Schreiben vom 29.3.2022 stellt das BMF klar, dass für die Berechnung der 10 %-Grenze auf die zu Beginn des Geschäftsjahres geplanten variablen Vergütungsbestandteile abzustellen ist, unabhängig davon, ob und in welcher Höhe letztendlich die Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen tatsächlich vergütet wird.

 

Zudem hat das BMF klargestellt, dass für die Berechnung der 10 %-Grenze strikt auf den anvisierten Leistungszeitraum der variablen Vergütungsbestandteile abzustellen ist. Der Auslagenersatz und das Sitzungsgeld für die Teilnahme an einer Aufsichtsratssitzung sind somit in dem Geschäftsjahr der Gesellschaft zu berücksichtigen, in das der Tag der geplanten Aufsichtsratssitzung fällt. Die Berechnung der 10 %-Grenze für die umsatzsteuerliche Beurteilung der (nicht-)unternehmerischen Aufsichtsratstätigkeit erfolgt somit unabhängig von der ertragsteuerlichen Betrachtung des Aufsichtsratsmitglieds, wobei auf das Kalenderjahr und die zeitliche Zuordnung nach dem Zuflussprinzip abzustellen ist.

 

Reisekostenerstattungen bleiben bei der Berechnung der 10 %-Grenze jedoch nach dem ebenfalls neu eingeführten Abschnitt 2.2 Abs. 3a Satz 6 UStAE unberücksichtigt.

 

Auswirkungen auf den Vorsteuerabzug

 

Die Tatsache, dass Aufsichtsratsvergütungen unter bestimmten Voraussetzungen nicht (mehr) steuerbar sind, kann sich grundsätzlich sowohl auf Seiten der Aufsichtsräte als auch auf Seiten der Unternehmen auf den Vorsteuerabzug auswirken. Dabei sind verschiedene Konstellationen zu betrachten.

 

Bei zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmen

 

Folgen für Aufsichtsräte

 

Ein üblicher Praxisfall ist ein zum Vorsteuerabzug berechtigtes Unternehmen, dessen Aufsichtsräte eine fixe Vergütung beziehen. Waren diese Aufsichtsräte aufgrund der bisherigen Verwaltungsauffassung bislang zweifelsfrei als umsatzsteuerliche Unternehmer anzusehen, gehört diese pauschale Beurteilung nunmehr der Vergangenheit an. Diese Aufsichtsräte sind nicht mehr als unternehmerisch selbständig anzusehen und somit mangels Unternehmereigenschaft nicht mehr zum Vorsteuerabzug für bezogene Eingangsleistungen berechtigt.

 

Wird ein separates Büro für die Aufsichtsratstätigkeit unterhalten, darf dieses mangels Unternehmereigenschaft gem. § 9 Abs. 1 UStG nicht mehr steuerpflichtig an das Aufsichtsratsmitglied vermietet werden. Sind für dieses Büro in den letzten fünf Jahren umfangreiche Anschaffungen z. B. für Büromöbel getätigt worden, für die ein Vorsteuerabzug voll oder teilweise geltend gemacht wurde, kommen ggf. eine Entnahmebesteuerung nach § 3 Abs. 1b UStG oder eine Vorsteuerkorrektur i. S. des § 15a Abs. 8 Satz 1 UStG in Frage.

 

Für künftige Eingangsrechnungen sind die umsatzsteuerlichen Auswirkungen zwar grundsätzlich nachteilig zu beurteilen: Da die Ausgaben aus ertragsteuerlicher Sicht gem. § 9b Abs. 1 EStG aber mit dem Bruttobetrag als Betriebsausgabe berücksichtigt werden können, kann sich der Vorsteuerschaden bei entsprechend hohem Grenzsteuersatz zumindest auf annähernd 50 % beschränken.

 

Folgen für Unternehmen

 

Während die neue Auffassung für Aufsichtsräte zu den o. g. Nachteilen führen kann, hat die Beendigung der Unternehmereigenschaft des Aufsichtsratsmitglieds für vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmen in Bezug auf die Abrechnung der Aufsichtsratstätigkeit grundsätzlich keine negativen Auswirkungen. Die Aufsichtsräte werden gegenüber den Unternehmen künftig ohne Umsatzsteuer abrechnen. Es wird keine Umsatzsteuer mehr ausgewiesen, die als Vorsteuer von den Unternehmen wieder abgezogen werden könnte.

 

Insofern sind die Auswirkungen bei rechtzeitiger Berücksichtigung der neuen Rechtslage seit dem 1.1.2022 als unproblematisch zu beurteilen. Ein Risiko besteht lediglich dann, wenn die Aufsichtsräte die neue Rechtslage nicht rechtzeitig übernehmen oder aus sonstigen unberechtigten Gründen von einer Unternehmereigenschaft ausgehen, dadurch weiterhin Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis erteilen und infolgedessen Steuerschuldner nach § 14c Abs. 2 UStG werden.

 

Bei nicht zum vollen bzw. teilweisen Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmen

 

Folgen für Aufsichtsräte

 

Für das Aufsichtsratsmitglied stellt der Wechsel vom umsatzsteuerlichen Unternehmer zum Nichtunternehmer eine umsatzsteuerliche Benachteiligung dar, weil der Vorsteuerabzug nur für Unternehmer möglich ist. Die Kosten des Aufsichtsratsmitglieds werden nunmehr bei Fixvergütungen zwangsläufig als Betriebsausgaben der Einkünfte nach § 18 EStG im Rahmen der Einkommensteuererklärung berücksichtigt.

 

Nach § 9b Abs. 1 EStG gehören im Umkehrschluss die mangels umsatzsteuerlicher Unternehmerschaft nicht abzugsfähigen Vorsteuern zu den Betriebsausgaben. Der zudem wegfallende Deklarationsaufwand wird künftig bei vielen Aufsichtsratsmitgliedern für Erleichterungen sorgen, die die Vorsteueraufwendungen aus Eingangsleistungen eventuell sogar überkompensieren werden.

 

Folgen für Unternehmen

 

Handelt es sich bei dem Unternehmen beispielsweise um einen Bildungsträger, der nur steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 21 UStG ausführt und daher nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, konnte die bisher auf den Rechnungen der Aufsichtsräte ausgewiesene Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen werden. Bei einer Aufsichtsratsvergütung von 10.000 € netto wären somit 1.900 € Umsatzsteuer als echte Mehrbelastung verblieben.

 

Übertragung auf Beamte und Politiker mit Aufsichtsratsmandat

 

Unter den Aufsichtsräten sind somit nicht selten Beamte oder Politiker zu finden, die nicht zwingend aufgrund ihrer eigenen Person, sondern vielmehr aufgrund ihrer beruflichen Position den Aufsichtsratsposten besetzen.

 

Die Finanzverwaltung hat im BMF-Schreiben vom 8.7.2021 festgelegt, dass die Unternehmertätigkeit dieser Personen durchaus differenziert betrachtet werden muss und die Selbständigkeit eben nicht bereits deshalb bejaht werden kann, weil ein gewisses Vergütungsrisiko nach der neueren Definition besteht.

 

Quintessenz

 

Die Klarstellung, dass Reisekosten nicht in die 10 %-Grenze aufzunehmen sind und die bisherigen Ausnahmeregelungen für Beamte und Politiker nur dann weiterhin gelten, wenn die Aufsichtsratsposition aufgrund ihres Amtes bekleidet wird, sind zu begrüßen.

 

Das BMF-Schreiben sorgt damit für Erleichterung bei den Unternehmen

  • im Gesundheitswesen,
  • Banken,
  • Versicherungen,
  • dem Bildungswesen und allen anderen nicht oder nur anteilig vorsteuerabzugsberechtigten Branchen,

da die Aufsichtsräte, die ggf. als Kleinunternehmer für den eigenen Vorsteuerabzug zur Umsatzsteuer optiert hatten, durch vereinbarte Fixvergütungen keine Mehrbelastungen bei den Unternehmen (mehr) verursachen können.

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