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Wegfall der Abzinsungspflicht für Verbindlichkeiten

Mit dem Vierten Corona-Steuerhilfegesetz vom 19.6.2022 wurde die bestehende Abzinsungspflicht für bestimmte Verbindlichkeiten in der Steuerbilanz nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG a. F. ersatzlos gestrichen. Dies wurde durch den Gesetzgeber insbesondere mit dem stark veränderten Marktzinsniveau gegenüber dem bislang gesetzlich normierten Abzinsungszinssatz von 5,5 % begründet. Auch wird darin ein Beitrag zu Bürokratieabbau und Steuervereinfachung gesehen.

 

Generell soll mit einer Abzinsung künftiger Verpflichtungen im Rahmen des Bilanzansatzes von Verbindlichkeiten berücksichtigt werden, dass eine erst in Zukunft zu erfüllende Verpflichtung den Schuldner wirtschaftlich weniger belastet als eine sofortige Leistungspflicht. Diesen Aspekt sieht nunmehr der Gesetzgeber nicht mehr als relevant an.

 

Die wesentlichen bilanziellen Aspekte, die aus dem Wegfall der Abzinsungspflicht resultieren, werden im folgenden Buchführungs-Seminar zusammenfassend erläutert. Dabei wird auch auf die unterschiedlichen Möglichkeiten der Barwertermittlung im alten Recht eingegangen.

 

Bilanzierung von Verbindlichkeiten nach altem Recht

 

Handelsbilanziell besteht eine Abzinsungspflicht im Bereich der Passiva lediglich für Rückstellungen, sofern die zugrunde liegende Verpflichtung am Bilanzstichtag eine Restlaufzeit von mehr als einem Jahr aufweist. Die Abzinsung erfolgt in diesem Fall mit dem laufzeitkongruenten Abzinsungszinssatz, der von der Deutschen Bundesbank ermittelt und veröffentlicht wird nach § 253 Abs. 1 Satz 2 sowie Abs. 2 HGB.

 

Eine Abzinsungspflicht für Verbindlichkeiten ist dem HGB hingegen fremd, so dass Verbindlichkeiten in der Handelsbilanz nach allgemeinen Grundsätzen, mithin dem Erfüllungsbetrag, anzusetzen sind nach § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB.

 

Steuerbilanziell sind Verbindlichkeiten nach altem Recht grundsätzlich unter sinngemäßer Anwendung von § 6 Nr. 2 EStG zu bewerten: Demnach bilden die Anschaffungskosten oder der höhere Teilwert den Ausgangspunkt zur Bewertung, dies entspricht im Ergebnis dem Nenn- bzw. Rückzahlungsbetrag. Der Bilanzansatz erfolgt sodann grundsätzlich mit dem Barwert des Nenn- bzw. Rückzahlungsbetrags, der mit einem Zinssatz von 5,5 % ermittelt wird (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG a. F.).

 

Eine Ausnahme von der Abzinsungspflicht gilt für

  • Verbindlichkeiten mit einer Laufzeit von weniger als zwölf Monaten,
  • verzinsliche Verbindlichkeiten,
  • Verbindlichkeiten, die auf einer Anzahlung oder Vorausleistung beruhen.

In diesen Fällen erfolgt der Ansatz zum Nenn- bzw. Rückzahlungsbetrag.

 

Die Laufzeit ist – insbesondere für die Beurteilung der Zwölf-Monats-Frist – anhand der letzten Zahlung der zugrunde liegenden Verpflichtung zu ermitteln. Hinsichtlich der Verzinslichkeit der Verbindlichkeiten ist bereits eine geringfügige Verzinsung ausreichend, um eine Abzinsung auszuschließen. Auch reicht hierzu eine rein wirtschaftliche Verzinsung im Sinne eines wirtschaftlichen Nachteils des Darlehensnehmers aus, es muss sich nicht um eine Verzinsung im rechtlichen Sinne handeln.

 

Da es somit zu einem abweichenden Wertansatz der betreffenden Verbindlichkeit in Handels- und Steuerbilanz kommt, sind die Voraussetzungen zur Abgrenzung latenter Steuern nach § 274 HGB grundsätzlich erfüllt. Die latente Steuer repräsentiert die künftig geringere Steuerzahlung, die als aktive latente Steuer zu behandeln ist. Für deren Erfassung besteht generell ein Aktivierungswahlrecht (§ 274 Abs. 1 Satz 2 HGB).

 

BMF-Schreiben zur Abzinsung von Verbindlichkeiten nach altem Recht

 

Zur Abzinsung von Verbindlichkeiten und Rückstellungen in der steuerlichen Gewinnermittlung hat das BMF bereits im Jahr 2005 ein umfangreiches Schreiben mit zahlreichen Beispielen veröffentlicht. Demnach finden für die Auf- und Abzinsung von Passiva grundsätzlich finanzmathematische Methoden Anwendung.

 

Wobei unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Verbindlichkeit folgende Parameter zugrunde gelegt werden:

  • Zinssatz: 5,5 %,
  • taggenaue Berechnung,
  • 360 Tage/Jahr,
  • 30 Tage/Monat,
  • Rückzahlungstag wird in Restlaufzeit einbezogen (max. 30 Tage/Monat).

Hinweis: Neben der exakten finanzmathematischen Bewertung kann auch eine Bewertung anhand von Vervielfältigern vorgenommen werden (sog. Vereinfachungsregelung), die in den Anlagen zum BMF-Schreiben enthalten sind.

Hinsichtlich der Darlehensmodalitäten differenziert das BMF hier genau nach

  • Fälligkeitsdarlehen mit Rückzahlung in einem Betrag und
  • Tilgungsdarlehen mit Rückzahlung in jährlich gleichbleibenden Beträgen.

Bei der Abzinsung von Fälligkeitsdarlehen ist bzgl. der Restlaufzeit regelmäßig auf den vereinbarten Rückzahlungszeitpunkt abzustellen. Liegt ein solcher nicht vor, ist auf den Zeitpunkt der wahrscheinlichen Rückzahlung abzustellen. Im Falle einer unbestimmten Laufzeit der zugrunde liegenden Verpflichtung ist die Restlaufzeit zu schätzen. Wird von der Vereinfachungsmethode Gebrauch gemacht, sind die Vervielfältiger für ganzjährige Restlaufzeiten der Anlage 2 des BMF-Schreibens zu entnehmen. Im Falle nicht ganzjähriger Restlaufzeiten ist der Vervielfältiger im Rahmen eines Interpolationsverfahrens zu ermitteln.

 

Ist hingegen ein Tilgungsdarlehen abzuzinsen, wird bzgl. der Restlaufzeit auf die Fälligkeit der letzten Rate abgestellt. Die Kapitalisierung erfolgt im Falle ganzjähriger Restlaufzeiten mit dem Vervielfältiger, der aus Anlage 3 des BMF-Schreibens zu entnehmen und auf den Jahresbetrag der Zahlungen anzuwenden ist. Im Falle nicht ganzjähriger Restlaufzeiten erfolgt auch bei Tilgungsdarlehen eine Ermittlung des Vervielfältigers durch Interpolation.

 

Bilanzierung von Verbindlichkeiten nach neuem Recht

 

Im Rahmen des Vierten Corona-Steuerhilfegesetzes vom 19.6.2022 wurde die Abzinsungspflicht für Verbindlichkeiten nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 a. F. EStG ersatzlos gestrichen.

 

Hinsichtlich der erstmaligen Anwendung wurde in § 52 Abs. 12 Satz 2 EStG normiert, dass der Wegfall der Abzinsungspflicht erstmals zwingend für Wirtschaftsjahre anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2022 enden.

 

Somit ist im Falle eines kalenderjahrgleichen Wirtschaftsjahres erstmalig für das Wirtschaftsjahr 2023 (Wirtschaftsjahresende 31.12.2023) verpflichtend keine Abzinsung mehr vorzunehmen.

 

Auf Antrag des Steuerpflichtigen kann jedoch auch bereits in früheren Wirtschaftsjahren auf eine Abzinsung von Verbindlichkeiten verzichtet werden nach § 52 Abs. 12 Satz 3 EStG. Somit ist in allen verfahrensrechtlich noch offenen Fällen ein Verzicht auf die Abzinsung möglich.

 

Durch den Wegfall der Abzinsung entsteht im Wirtschaftsjahr des erstmaligen Ansatzes der Verbindlichkeit mit dem undiskontierten Wert ein einmaliger Aufwand, der in voller Höhe steuermindernd anzusetzen ist. Auch entfallen, sofern zuvor aktivisch abgegrenzt, latente Steuern, da Handels- und Steuerbilanzansatz der Verbindlichkeit nunmehr der Höhe nach übereinstimmen.

 

EXKURS: Diskontierung vs. Askontierung

 

Die Begriffe Diskontierung und Askontierung stammen aus der dynamischen Investitionsrechnung und sind eines der wichtigsten Merkmale, denn im Gegensatz zu den statischen Verfahren, betrachtet man im dynamischen Verfahren alle Perioden der Nutzungsdauer einzeln.

 

Jedem einzelnen Nutzungsjahr werden prognostizierte Rückflüsse zugeordnet. Ebenfalls ein wesentliches Merkmal ist die Zinseszinsrechnung. Zinseszins ist im Finanzwesen ein fälliger Zins, der dem Kapital hinzugefügt und künftig zum geltenden Zinssatz zusammen mit dem Kapital verzinst wird. Relevant sind hier die Askontierung (Aufzinsung) und Diskontierung (Abzinsung).

 

Die Askontierung befasst sich mit der Frage, was ein heute festgelegter Betrag zu einem zukünftigen Zeitpunkt wert ist. Hierzu wird zu dem heutigen Wert der Zinsbetrag bis zum zukünftigen Zeitpunkt hinzugerechnet.

 

Die Diskontierung, die für die dynamischen Verfahren äußerst relevant ist, stellt das genaue Gegenstück zur Askontierung dar. Sie zeigt, was ein zukünftig zu zahlender Betrag heute Wert ist. Hier wird diesem in Zukunft fälligen Betrag der Zins bis zum heutigen Zeitpunkt abgezogen. Der Zins zeigt hier die Zeitpräferenz aus, da ein heute gezahlter Geldbetrag mehr wert ist als ein gleichhoher Betrag, der später gezahlt wird. Der Zinssatz für die Zinseszinsrechnung wird durch das investierende Unternehmen festgelegt und verleiht den Anforderungen dieses Unternehmens an Mindestverzinsung, Inflationsberücksichtigung etc. Ausdruck! Der Zinssatz kann sich am kalkulatorischen Zinssatz aus der Kostenrechnung oder den Fremdkapitalkosten orientieren.

 

Dynamische Investitionsrechnungen basieren anders als statische Investitionsrechnungen auf Ein- und Auszahlungen und bedienen sich finanzmathematischer Methoden. Bei der Ermittlung der Auszahlungen bleiben Zinsen unberücksichtigt, da durch die Dynamisierung bereits eine Abzinsung erfolgt.

 

Die Dynamischen Verfahren stellen eine Modellrechnung dar und basieren auf dem „vollkommenen Kapitalmarkt“.

 

Quintessenz

 

Wer mich kennt, weiß das ich auch die unterschiedlichen Investitionsrechenverfahren unterrichte. Dieses Thema ließ mein Herz höherschlagen, da es zwei Welten zum einen die Bilanzierung und zum anderen die Investitionsrechnung miteinander verknüpft! 😍

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